Harvey Grace (1874–1944) war von 1931 bis 1938 an der Kathedrale zu Chichester tätig, ist jedoch mehr bekannt für seine Ausgabe der Sonaten Rheinbergers, sein Buch
The Organ Works of Bach aus dem Jahre 1922, das unter Organisten noch heute beliebt und geschätzt ist, sowie für seine Beiträge für
The Musical Times, die er von 1918 an bis zu seinem Tod herausgab. Seine
Ten Compositions for Organ, ca. 1922, sind heutzutage selten zu hören, zeigen Grace jedoch als einsichtsvollen und schöpferischen Komponisten.
Reverie, das achte Stück, basiert auf einer Kirchenliedmelodie aus dem 18. Jahrhundert,
University, und aus dem Notentext wird deutlich, dass Grace sich der Verbindung zu George Herberts Paraphrase des Psalms 23,
The God of love my Sheperd is, bewusst war. Beim Hören dieses fast unschuldigen kleinen Werks (wie auch Wesleys
Andante) wird man in eine Nische des Musizierens transportiert, die praktisch auf den Organisten beschränkt ist – das Extemporieren – und man kann sich einen Organisten aus Graces Generation vorstellen, wie er den Einzug des Chors und der Geistlichkeit mit solch sanften Reflexionen mit den leisen Holzbläser- und Streicherstimmen der romantischen Orgel begleitet haben mag. Das harmonische Vokabular des Domorganisten hatte sich im 19. Jahrhundert gewandelt und während Wesleys Harmoniesprache von Mozart und den frühen Romantikern beeinflusst war, scheint sich Grace eher an Delius orientiert zu haben.
aus dem Begleittext von Relf Clark © 2005
Deutsch: Viola Scheffel