Benjamin Künzel
Klassik.com, Germany
Dezember 2019
PERFORMANCE
RECORDING

Man wagt kaum, zu atmen am Ende dieses Album: Gerald Finley und Julius Drake durchleuchten Franz Schuberts 'Schwanengesang' und Johannes Brahms‘ 'Vier ernste Gesänge'. Die emotionale Tiefe und Eindringlichkeit, mit der die beiden Künstler sich und den Zuhörer in eine Einheit von Musik, Sprache und intime Atmosphäre zu versenken verstehen, ist entwaffnend und unverstellt direkt. Die im Oktober 2018 in London aufgenommene und beim Label Hyperion erschienene CD muss keine Vergleiche scheuen—sie hat sie auch nicht nötig, denn sie spricht für sich.

Zart und mit einer Prise Süße schwebt Finleys Stimme bei Schuberts 'Liebesbotschaft' über dem poetischen Klavierstrom von Julius Drake. Bereits die ersten Sekunden dieser 'Schwanengesang'-Einspielung fesseln dermaßen, dass sich alle Aufmerksamkeit auf die Musik und ihre Interpreten richten muss. Ein Nebenher-Hören ist hier nicht möglich. Finley und Drake stellen mit aller Konsequenz jene unabdingbare Intimität her, die einen Liederabend zur einmaligen Veranstaltung werden lassen kann. Dass sich diese Atmosphäre so abstrichlos auf Tonträger einfangen lässt, ist mit Sicherheit auch den Tontechnikern von Hyperion zu verdanken. Und mit dieser 'Liebesbotschaft', in der bei aller sprachlichen und völlig akzentfreien Klarheit auch eine dezente Schüchternheit mitschwingen darf, beginnt ein schlüssiger und nuancenreicher Gang durch Schuberts Liednachlass.

Am Anfang stehen die sieben Rellstab-Vertonungen, gefolgt von den sechs Heine-Liedern. Nach dem 'Doppelgänger' fungiert 'Die Taubenpost' quasi als Epilog. Jedes einzelne Lied wird mit dem kongenialen Lied-Duo zu einem kleinen, in sich geschlossenen Kosmos. Der kanadische Bariton beeindruckt noch immer mit seiner natürlich schimmernden Höhe, dem edlen, unverwechselbaren Timbre und einer druckfreien, kernigen Mittellage und Tiefe. Hier und da streift Finleys Tongebung etwas Mulmiges, aber das fällt bei all dieser Kunstfertigkeit und Authentizität nicht ins Gewicht. Es ist regelrecht beglückend, diese Schubert-Lieder frei von Überinterpretation und Künstlichkeit zu erleben. Der Sänger findet die exakt richtige Dosierung von Farben und deklamatorischer Prägnanz, die jede einzelne Komposition im Gleichgewicht hält. Dabei gehen Inhalt und Gehalt nicht verloren, sie vermitteln sich eher mit größerer Deutlichkeit.

Julius Drake ist dem Solisten nicht nur Stütze, sondern ebenbürtiger Dialogpartner. Auch er beherrscht die Kunst, sich nicht aufzudrängen, keine rein instrumentalen Abschnitte zum ‚Klavierkonzert‘ zu machen. Überhaupt ist dies eine unschätzbare Qualität des vorliegenden Albums: Beide Künstler vermitteln nicht den Eindruck, sich profilieren zu müssen. Sie stellen sich in den Dienst der Werke, ohne die eigene Persönlichkeit zu beschneiden. Selten hat man das dauerstrapazierte 'Ständchen' so einfühlsam und akustisch frisch gehört, quasi neu ‚erfunden‘. Ein weiteres Beispiel hierzu wäre das Vorspiel zu 'Abschied': Die rhythmische Prägnanz, die Unmittelbarkeit von Drakes‘ kristallinem Spiel ist fernab jeder Routine. Alles atmet Gestaltungswillen und Idee, ohne dieselben in den Vordergrund zu rücken. Die Liste der besonderen Momente ließe sich mühelos erweitern: 'Der Atlas' trifft mit seiner schmerzvollen Unerbittlichkeit mitten ins Schwarze, 'Ihr Bild' ist voll von Zärtlichkeit und spürbarem Schmerz, was durch das in Folge leichtfüßig vorgetragene und von innerer Ruhe durchzogene 'Fischermädchen' verstärkt wird – ganz zu schweigen vom volltönenden und doch schwebenden Piano in 'Am Meer', ein Augenblick überirdischer Schönheit.

Dem Schubertschen 'Schwanengesang' folgt jener von Johannes Brahms, der das Album beschließt: Die 'Vier ernsten Gesänge' sind mit Finley und Drake jene unpathetischen, weltlichen Momentaufnahmen, die Brahms vorgeschwebt haben dürften. Wo bei den Schubert-Liedern noch ein eher zarter, träumerischer oder auch dramatisch zupackender Ton zu finden war, ziehen Finley und Drake nun aus der Direktheit des Textes und Brahms‘ Tonfall ihre eindringliche Poesie. Es liegt ein ganzes Menschenleben zwischen den beiden Liedsammlungen—das hört man deutlich. Was Brahms‘ und Schuberts ‚letzte Worte‘ aber eint, ist die Kunst dieses stimmigen Lied-Duos. Dieses Album ist ein Muss!

Klassik.com, Germany