Dr Matthias Lange
Klassik.com, Germany
Dezember 2019
PERFORMANCE
RECORDING

Jedes Vokalensemble braucht (mindestens) eine Advents- und Weihnachtsplatte in seiner Diskografie. Diese Logik jedenfalls wird sichtbar, wenn man die neue Produktion des jungen englischen Ensembles The Gesualdo Six unter der künstlerischen Leitung seines Bassisten Owain Park anschaut: Unter dem schichten Titel 'Christmas' ist bei Hyperion allerdings alles andere als eine bloße Pflichtübung erschienen. Vielmehr setzen die Vokalisten deutliche Akzente mit klug arrangierten Urklängen von Advent und Weihnachten wie dem großartigen 'Veni Emmanuel' in der Version von Ex-King‘s Singers-Bariton Philip Lawson, mit Gewichtigem aus der Renaissance—das ausgreifende 'Videte miraculum' von Thomas Tallis bildet gar das künstlerische Kraftzentrum des gesamten Programms.

Dazu ist die im Weihnachtssektor kaum vermeidliche deutsche Tradition zu hören, mit Hans Leo Hassler, mit Michael Praetorius abseits ausgetretener Pfade und mit Johann Sebastian Bach. Und es wird ein kühner Bogen durch englisches Repertoire verschiedener Zeiten geschlagen: Von Ralph Vaughan Williams und Gustav Holst bis in die Gegenwart zu Jonathan Harvey, John Rutter, Eleanor Daley, Jonathan Rathborne, Cheryl Frances-Hoad und Owain Park, den Bassisten des Ensembles. Das ergibt, in konsequenter Mischung der Zeiten und Stile, eine eigenständige, in mancher Begegnung durchaus überraschende Reihung. Und es gibt erstaunlich wenig Überschneidungen zu den an Zahl nicht knappen weihnachtlichen Produktionen vergleichbarer Formationen.

The Gesualdo Six hatten 2018 ein hervorragendes Debüt mit englischer Motetten-Kunst, Tallis und Byrd waren die einende Klammer. Es war ein Ensemble zu hören, das sich in vielen Gesten erprobte, allen Anforderungen gerecht wurde und aus dem Stand ein wirklich hohes Niveau in komplexer Materie zu beweisen in der Lage war. Auch auf der aktuellen Weihnachtsplatte ist es mit all seiner Differenzierungskunst gefordert. Die sechs Stammsänger sind die Countertenöre Guy James und Alexander Chance, die Tenöre Joseph Wicks und Josh Cooter, der Bariton Michael Craddock und der Bass Samuel Mitchell, immer wieder unterstützt vom siebten Sänger, dem Bass und Ensembleleiter Owain Park. Gemeinsam verfügen sie über eine reich sich verströmende Substanz, die Stimmen zeichnen klar, sind fein balanciert und zur edlen Verschmelzung fähig. Letzteres kommt besonders in den harmonisch dichten Sätzen moderner Zeit zum Tragen. Gerade hier ist die Akkordik besonders schön ausgehört; intonatorisch wird nicht die kleinste Schwäche offenbar.

Rhythmisch werden markante Impulse gesetzt, zum Beispiel in Hasslers 'Verbum caro factum est' oder in der von Gordon Langford besorgten Bearbeitung des Pierpont-Klassikers 'Jingle bells'. The Gesualdo Six haben—auch zu siebt—wie schon auf der ersten Platte erkennbar Mut zur scharfkantigen Geste, phrasieren aber vor allem geschmackvoll, in durchgeformten Linien. Eine aktive Sprachbehandlung fällt positiv ins Gewicht; bei komplizierten Wörtern fremdeln die Vokalisten mit der Aussprache des Deutschen. Die Klangqualität der in der Kapelle des Trinity College in Cambridge entstandenen Aufnahme offenbart eine feine räumliche Expansion, ist dennoch hochkonzentriert, plastisch und klar.

Jetzt gibt es auch Weihnachten mit The Gesualdo Six: Die Vokalisten setzen manchen Akzent abseits des tausendfach Gesungenen und Gehörten. In der Summe ist das ein eigenständiges, gelegentlich auch eigenwilliges Programm, mit schroffen, aber fruchtbaren stilistischen Wechseln auf engstem Raum.

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