Jürgen Schaarwächter
Klassik.com, Germany
Oktober 2016
PERFORMANCE
RECORDING

Das Szymanowski Quartet zeichnet zusammen mit Pianist Jonathan Plowright den unterschiedlichen ästhetischen Ausgangspunkte bei Różycki und Friedman nach und findet eigenständige, faszinierende Zugänge zu den beiden Klavierquintetten.

Ein englisches Herrenhaus in Norfolk, Potton Hall in Dunwich, ist seit Langem (k)ein Geheimtipp, wenn es um gute Kammermusikeinspielungen geht. Viele Kammermusikformationen gehen im hiesigen Aufnahmestudio ein und aus, um interessantes Repertoire zu verewigen. Das Szymanowski Quartet (Agata Szymczewska, Grzegorz Kotów, Vladimir Mykytka und Marcin Sieniawsi) hat sich hier im Oktober 2015 abermals mit dem Pianisten Jonathan Plowright zusammengetan, um sich zweier Klavierkammermusikwerken zweier heute weitgehend vergessener polnischer Komponisten zu widmen.

Ludomir Różycki (1883-1953) schuf sein Klavierquintett c-Moll op. 35 1913 in Paris und Berlin, und wenn sich der Bookletautor über mangelnde Spiegelung der Musik Strawinskys oder Debussys beklagt, so ist das Werk im Gegenteil durchaus der Klavierkammermusik Florent Schmitts oder Robert Fuchs‘ ebenbürtig. Es wäre für beide Seiten fatal, verkehrte Gattungen miteinander vergleichen zu wollen. Natürlich ist Różyckis Quintett harmonisch nicht skandalös, aber durchaus absolut auf der Höhe der damaligen Zeit. Besonders reizvoll in der vorliegenden Interpretation des Werks ist die perspektivische Nutzung des Aufnahmeraums durch die hochrangigen Musiker, die hörbar nicht nur aufeinander eingespielt sind, sondern vor allem auch die musikalischen und emotionalen Höhepunkte und Steigerungen der dreisätzigen Komposition auf das Erfreulichste ausspielen. Das Zusammenspiel der Musiker ist vorbildlich, jeder bleibt Individuum und ist doch untrennbar Teil eines harmonischen Ganzen. Hieraus ergeben sich ganz natürlich wunderbar vielfältige klangfarbliche Kombinationen, die aber immer dem Ganzen unmittelbar verbunden bleiben.

Gleiches gilt für das 1918 entstandene Klavierquintett von Ignacy Friedman (1882-1948). Ebenfalls in c-Moll, ebenfalls dreisätzig (mit einem Variationensatz im Zentrum), ist es eindeutig das Werk eines großen Klaviervirtuosen, der um den musikalischen Effekt weiß. Auch harmonisch ist Friedman ‚zeitgemäß‘, greift aktuellste harmonische Entwicklungen auf und lässt so die Musik der 1920er-Jahre bereits anklingen. Im ersten Themenkomplex des Kopfsatzes stört ein prägnantes Motiv immer wieder den Hörer auf, und auch im weiteren Verlauf der Komposition bleibt dramatisch-expressive Dichte ein zentrales Element. Der Zugang der Interpreten ist hier ein bewusst deutlich anderer als jener zu dem Różycki-Werk—stärkerer Portamento-Gebrauch, stärkere agogische Ausladung sorgen für einen teilweise eher fast nonchalanten, teilweise aufstörend ‚modernistischen‘ Ton. Was zunächst als Geschmacklosigkeit angesehen werden könnte, wird im Lauf der Interpretation schnell zur nahezu einzig möglichen Lösung durchaus eigenwilliger kompositorischer Fragestellungen—obschon Friedman (ebenso wie Różycki) niemals die Tradition, aus der heraus das Werk entstanden ist, in Frage stellt. Gerade durch diese individuellen Lösungen, die klar machen, dass diese Musik weit mehr als ‚nur‘ Musik polnischstämmiger Komponisten ist, treten die vorliegenden Interpretationen heraus aus dem Gros guter und sehr guter jüngster Kammermusikinterpretationen und lassen eine Empfehlung an den geneigten Leser unvermeidbar scheinen.

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