Michael Loos
Klassik.com, Germany
Oktober 2016
PERFORMANCE
RECORDING

Das Klavierwerk Bedřich Smetanas ist vergleichsweise unbekannt, umso erfreulicher gestaltet sich diese Begegnung mit seinen tschechischen Tänzen.

Sieht man einmal von der allgegenwärtigen Tondichtung 'Die Moldau' ab, ist das Schaffen von Bedřich Smetana (1824–1884) nicht übermäßig präsent. Einigermaßen häufig gespielt werden noch die beiden Streichquartette und das (einzige) Klaviertrio, die Opern des Komponisten jenseits der 'Verkauften Braut' dürfen hingegen schon als Raritäten gelten. Fast nie sind Smetanas Klavierwerke zu hören, obwohl er ein begabter Pianist war, der in jungen Jahren von Franz Liszt gefördert wurde, als er dem verehrten Kollegen 1857 begegnete. Es handelt sich dabei nicht um groß angelegte Sonaten, sondern meist kleiner dimensionierte Werke wie Polkas, Etüden und—in der Mehrzahl—Tänze. Smetana nutzte (wie Brahms und Dvořák) die häufig einfach strukturierten, periodischen Tanzsätze und -weisen seiner Heimat, um daraus raffinierte, eingängige und bisweilen auch virtuose Klavierwerke zu schaffen. Anders als die ungarischen Tänze von Brahms oder die slawischen Tänze von Dvorak werden diejenigen Smetanas aber nur höchst selten von den Pianisten auf ihr Programm gesetzt. Garrick Ohlsson hat dies nun getan und legt beim Label Hyperion eine reine Smetana-Klavier-CD vor—ohne Zweifel eine Seltenheit im Repertoire.

Mit Ausnahme der Konzertetüde 'Am Seegestade' spielt Ohlsson ausschließlich die tschechischen Tänze, die teils einfach als Polka betitelt sind, teils poetische Titel wie 'Die kleine Zwiebel' tragen. Der pianistische Anspruch der Stücke ist zwar unterschiedlich, sollte aber nicht unterschätzt werden: Vor allem im zweiten Buch (Track 5 bis 14) ist in einigen Stücken ganz klar der professionelle Pianist gefordert, nicht der Gelegenheitsspieler. Viele Möglichkeiten also für Ohlsson, sein technisches Können zur Schau zur stellen—was er auch tut. Wichtiger ist ihm aber ein anderer Aspekt der Musik: Das tänzerisch-melodische Element, hier gelangen Smetana bisweilen einzigartige Melodien, die den Vergleich mit Schubert oder Chopin nicht scheuen müssen. Ohlsson hebt diese Melodien klar hervor, ohne die Begleitung völlig in den Hintergrund zu stellen, ein bemerkenswerter Balanceakt. Die satten, runden Bässe seiner linken Hand sind zweifelsohne ebenfalls beachtenswert, werden von der Hyperion-Klangtechnik aber auch aufs Schönste hervorgehoben. Wer je den trockenen, unnatürlichen Klavierklang einer CD-Aufnahme bemängelt hat, sollte es mit dieser Einspielung versuchen.

Wie angedeutet, wirkt das erste Buch der tschechischen Tänze (Track 1 bis 4) pianistisch und auch musikalisch etwas harmloser als die folgenden Nummern, sollte aber auch nicht unterschätzt werden. So richtig hörenswert wird es ab Track 5, einem rasanten 'Furiant', in dem Ohlsson seinen kraftvollen Zugriff mit der rhythmisch pointiert vorgetragenen Tanzweise nahezu perfekt verbindet. Die Kompaktheit der Form tut ein Übriges, um bei keinem einzigen Stück Langeweile aufkommen zu lassen—Smetana verstand es glänzend, aus den schematisch wirkenden Tänzen ein Maximum an Abwechslung zu formen. Im Vergleich zu der bestens abgestimmten Mischung aus Musikalität und Virtuosität wirkt die abschließende Konzertetüde schon fast etwas übertrieben einseitig auf den manuellen Aspekt fokussiert, doch sei‘s drum: Warum sollte Ohlsson ans Ende der insgesamt 14 Tänze nicht ein hochvirtuoses Schluss-Stück setzen? Alle Liebhaber des eingängigen Tanzes können danach ja noch einmal zu Track 6 ('Die kleine Henne') zurückkehren, dem vermutlich genialsten Stück dieser Aufnahme. Mit wundervoller dynamischer Abstufung und einer hochfein differenzierten Melodie gelingt Ohlsson hier ein besonders erinnerungswürdiger Vortrag. Dass nicht alle der hier zu hörenden Stücke auf diesem Niveau stehen, nimmt man da gerne in Kauf.

Wenn Sie als Hörer also einen (oder mehrere) der folgenden Komponisten schätzen: Schubert, Brahms, Dvořák und Chopin—und insbesondere deren Klavierwerke—, können Sie mit dieser Einspielung nichts falsch machen. Ohlssons Smetana-Interpretation entpuppt sich als höchst hörenswerte Entdeckung nicht nur für Klavierfreunde, sondern generell für jeden, der gleichermaßen hervorragend komponierte wie gespielte Musik schätzt.

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