Wendelin Bitzan
Klassik.com, Germany
August 2009
PERFORMANCE
RECORDING

Henry Purcell war, im Gegensatz zu manchen seiner Landsleute, von der Kunst der italienischen Geigenvirtuosen begeistert, die sich im späten 17. Jahrhundert in London die Ehre gaben. Die fahrenden Musiker machten Concerti und Triosonaten in ganz Europa bekannt, und Purcell war von der italienischen Instrumentalmusik so angetan, dass er sich mit seinen eigenen Werken bewusst an diesen Stil anlehnte. Er veröffentlichte im Jahr 1685 ein Heft mit Triosonaten, die 'Twelve Sonatas of III Parts’, und posthum erschien 1697 ein zweiter Band mit dem Titel 'Ten Sonatas in Four Parts’. Die Besetzung ist allerdings in beiden Werkzyklen identisch, es sind jeweils vier Musiker beteiligt. Der Dirigent und Cembalist Matthew Halls führt die ambivalente Namensgebung auf einen veränderten Zeitgeschmack zurück—seitdem neue Kompositionen häufig eine sehr selbständig geführte Generalbassstimme enthielten und die Verleger auch einen eigenen Cembalopart herausgaben, wurde auch die Benennung angepasst. Halls’ Interpretation der zweiten Serie von Purcells Sonaten ist nun in einer Einspielung des englischen Labels Linn Records zu hören. Er musiziert mit dem Retrospect Trio, das sich aus drei in England und den Niederlanden ausgebildeten, auf Barockmusik spezialisierten Musikern formiert: den Geigern Sophie Gent und Matthew Truscott sowie Jonathan Manson an der Bassgambe.

Die zehn 'Sonatas in Four Parts’ entsprechen dem Typus der Sonata da camera, sind also suitenartige Werke ohne thematische Verwandtschaft zwischen den einzelnen Sätzen, und versammeln in ihrer Gesamtheit höchst unterschiedliche Charaktere auf engem Raum. Neben italienischen Einflüssen sind auch Elemente des französischen Instrumentalstils spürbar; auch Purcells eigene Vorliebe für exponierte Dissonanzen und eine avancierte, stufenreiche Harmonik finden Eingang in die Kompositionen. Es ist auffällig, wie flexibel Purcell mit der traditionellen Viersätzigkeit der Triosonate verfährt: der an zweiter Stelle stehende Allegro-Satz trägt oft den Titel 'Canzona’, wie die französische Air mitnichten ein auf Gesanglichkeit hinweisendes Attribut; häufig wird ein zusätzlicher langsamer Satz integriert; die fünfte Sonate in g-Moll enthält gar sieben Sätze. Die ausgeprägte Kontrapunktik bezieht auch die Bassstimme mit ein—dies führt zu erstaunlicher satztechnischer Vielfalt, gerade in den fugierten Allegro- und Presto-Sätzen.

Das Retrospect Trio liefert eine historisch informierte, sehr durchdachte Wiedergabe. Die Generalbassgruppe stützt das Klangbild jederzeit, tritt aber niemals in den Vordergrund; wenn die Basslinie am thematischen Geschehen teilhat, zeichnet sie sich durch große Beweglichkeit aus. Die beiden Geigenstimmen verschmelzen nahezu ideal—kadenzierende Synkopenvorhalte gewinnen durch die stilsichere Abphrasierung zur Konsonanz ein melancholisches Pathos, das sich besonders charakteristisch in der dritten Sonate in a-Moll zeigt. Gelegentlich dürften aufgeregte oder leidenschaftliche Affekte noch couragierter dargeboten werden; das Ensemble kultiviert einen aus technischer Perspektive untadeligen, aber emotional recht kontrollierten Tonfall. Durch eine sehr ansprechende graphische Gestaltung überzeugt die SACD auch optisch. Der englische Begleittext von Matthew Halls wartet mit detailgenauen Informationen zur Entstehungsgeschichte der Werke auf; der Aufnahmeort, die verwendeten Instrumente und die historische Stimmung sind vorbildlich dokumentiert. Eine wertvolle, in vieler Hinsicht überzeugende Einspielung.

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