Dr Matthias Lange
Klassik.com, Germany
April 2011
PERFORMANCE
RECORDING

Es sind nicht viele Kompositionen des franko-flämischen Komponisten Philippe Rogier (ca. 1561-1596) überliefert. Das liegt nicht an der Kürze seiner Lebensspanne, denn er war ein ausgesprochen produktiver Musiker: Wie viele seiner musikalisch begabten Landesgenossen aus den Spanischen Niederlanden machte er am Hof des spanischen Königs Karriere, stieg dort 1584 zum Vizekapellmeister auf, bevor er zwei Jahre später die Leitung der königlichen Kapelle übernahm. Unglücklicherweise fielen die meisten seiner Werke späteren Katastrophen zum Opfer—während eines Feuers im Madrider Königspalast 1734 und in noch größerem Ausmaß durch das große Erdbeben von Lissabon im Jahre 1755.

Aber auch ausweislich seiner überlieferten Werke kann Rogier als Meister seiner Zeit betrachtet werden, wie das Programm der vorliegenden Platte zeigt. Interessant ist vor allem die in vielen Fällen mehrchörige Grundanlage seiner Sätze: Den innovativen Venezianern der Zeit in nichts nachstehend, sind damit schöne Klangwirkungen und große Effekte möglich. Doch bleibt diese Sphäre nicht ohne Kontrast, findet Rogier gerade in klanglich zarteren Bereichen Momente intensiver Deutung. Rogiers Musik wirkt durch diese schon moderne Kompositionstechnik motorischer, rhythmisch pointierter, linear bewegter als die älterer Zeitgenossen. Man spürt, dass Rogier die Arbeit Andrea Gabrielis kannte und damit die Impulse eines der wichtigen Gravitationszentren des ästhetischen und satztechnischen Wandels aufnahm.

Hinzu tritt die im Spanien des Goldenen Zeitalters verbreitete Praxis, verschiedene Instrumente als Klangverstärker mitgehen zu lassen. Das steigert Pracht und Klangfülle, beschert der Musik aber auch sinnliche und sehr konzentrierte Momente. Wie stets scheinen die Motetten noch frischer als die strenger angelegten Messen, überzeugen sie mit einem geradezu freudvollen Ausdruck.

Philip Caves Vokalensemble Magnificat singt diese nuancenreiche Musik in einer siebzehnköpfigen Besetzung, die durch klar ausgeformte Register besticht: Deutlich zeichnende Farben entfalten einen kernigen Klang, der gleichwohl einer gewissen Verschmelzungsfähigkeit nicht entbehrt. Aber auch in verhaltenen Abschnitten bleibt die Klanggestalt gut fokussiert und präzis. Besetzungsbedingt wird alles Breite und Ausladende vermieden. Auch die unbegleitet interpretierte Palestrina-Motette 'Domine in virtute tua' gerät belebt und zeigt einen ausgeprägten Sinn für strukturelle Nuancen. In den Reihen der Formationen finden sich etliche auch solistisch und aus der Arbeit anderer Vokalensembles bekannte Stilisten, etwa die Soprane Anna Crookes, Sally Dunkley und Carys Lane, die Altistin Clare Wilkinson oder die Bässe Ben Davies und Eamonn Dougan. Sie stehen stellvertretend für das unerschöpflich scheinende Reservoire hervorragender englischer Consortsänger, deren kontinuierlich hohe Qualität es ermöglicht, auch ambitionierte Vokalkompositionen in kleinen, schlagkräftigen, hervorragend intonierenden Besetzungen zu singen.

Natürlich bringen die instrumentalen Anteile von His Majestys Sagbutts and Cornetts an etlichen Stellen Klangfülle ein. Zugleich unterstützen sie die Vokalisten aber bei der klaren Zeichnung der Linien, indem sie den Klang durch charakteristische Farben präzisieren und damit transparent halten. Grundlage dafür ist eine ausgeprägte Disziplin, die ein Ausufern des instrumentalen Grundklangs sicher verhindert. Insgesamt ist das Klangbild erfreulich differenziert, bildet klare Sphären ab, werden die Register plastisch präsentiert. Der Raumanteil ist zugunsten großer Transparenz kontrolliert, diffuse Wolkigkeit ist nirgends zu bemängeln.

Philip Cave nutzt die strukturellen Qualitäten der Musik zu frischem Musizieren, wählt alles andere als statische Tempi und spielt mit den dynamischen Kontrasten der Mehrchörigkeit. Dieser klangsinnliche Zugriff bewährt sich, weil die potenten Ensembles nicht blindlings in einen dichten Klangstrom geschickt werden, sondern Cave die Kompositionen Rogiers klug disponiert. Cave zeigt Rogier als interessanten und erstaunlich eigenständigen Vertreter der späten franko-flämischen Tradition—die Musik dieses früh gestorbenen Meisters ist keineswegs randständig.

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