Stefan Drees
Klassik.com, Germany
Januar 2014
PERFORMANCE
RECORDING

Nach ihrer 2011 erschienenen Aufnahme von Erwin Schulhoffs Violinsonaten nähert sich die Geigerin Tanja Becker-Bender erneut einem Werkkorpus aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Diesmal hat sie sich, gemeinsam mit dem Pianisten Péter Nagy musizierend, den vier Violinsonaten Paul Hindemiths angenommen. Das Ergebnis dieser Wahl ist, vom Label Hyperion veröffentlicht, eine der schönsten Platten, die anlässlich des 50. Todestag von Hindemith den Weg in meinen CD-Player gefunden haben. Auffällig ist, wie stark Becker-Bender an den melodischen Aspekten der Werke interessiert ist und sich daher primär dem oft versteckten und mitunter auch in herben Akkordverbindungen steckenden Lyrismus der Partituren zuwendet. Die Suche nach diesen Momenten und die Entfaltung der darin steckenden Kantabilität macht das Wesen der hier zu hörenden Lesart aus. Eindrucksvoll ist dabei einerseits die facettenreiche und intonationssichere, von stark differenziertem Vibratoeinsatz und akribischen artikulatorischen Vorstellungen geprägte Zugangsweise der Geigerin, dem Nagy mit weichem, aber dennoch bestimmtem und bisweilen ausgesprochen kantablem Anschlag begegnet.

Bereits die zweisätzige Sonate Es-Dur op. 11 Nr. 1 (1918) verdeutlicht, wie stark sich die Musiker an den Möglichkeiten zur melodischen Gestaltung orientieren und dabei—ein besonders gelungenes Detail, das sich über sämtliche Werke erstreckt—im Dialog einen traumhaft sicheren Umgang mit der Agogik entfalten. Dass sich dabei im Kopfsatz sehr zarte, ja intime Momente herausschälen, verweist gleichfalls auf Weiteres, denn die zu Beginn des zweiten Satzes angestimmten, teils sehr zerbrechlich wirkenden Klänge wirken dadurch wie eine zwingende Steigerung der im Kopfsatz aufblitzenden Tendenzen. Mit dem markanten Einstieg in die Sonate D-Dur op. 11 Nr. 2 (1918) entfalten Becker-Bender und Nagy zunächst einen anderen Tonfall, den sie aber immer wieder durch Rückbesinnung auf lyrische Passagen verändern. Überzeugend ist auch die sorgfältige Zeichnung der deklamatorisch geprägten Abschnitte im Zentrum des Kopfsatzes, die den unruhigeren Charakter der Sonate ganz wesentlich prägen und sich im fantasiereichen, gleichfalls immer wieder die Grenzen zum instrumentalen Deklamieren überschreitenden Schweifen des Mittelsatzes fortsetzen. Wie das Duo im nachfolgenden Finale dann eine Reihe von Augenblicke voller Heiterkeit entfaltet, gehört mit zu den stärksten Momenten dieser Aufnahme.

Überraschend ist auch der Zugriff auf die Sonate in E (1935), da die Interpreten dem Werk einen—freilich sehr zurückhaltenden—Anflug von impressionistischem Parfüm verleihen und dadurch die herbere musikalische Sprache vergessen lassen. Dass die beiden Kammermusikpartner dennoch auch den kraftvollen Momente der Musik stattgeben, beweisen sie mit der Sonate in C (1939): Hier treiben sie im Kopfsatz die Musik durch rhythmische Impulse voran, um sich im zweiten Satz einem innigen Gesang hinzugeben, der im Mittelteil durch rasche, mitunter gar nervöse Bewegung wiederum aufgebrochen und später in die eleganten Umspielungen eines immer höher steigenden Violinparts gewendet wird. Die Umsetzung der abschließenden Fuge, geprägt von einer klaren Nachzeichnung der kontrapunktischen Linienführungen, macht dann noch einmal die Kunst der Balance zwischen Strenge und Lyrismus deutlich, mit der sich Becker-Bender und Nagy durch alle vier Partituren bewegen – zumal die Strenge des Hindemith’schen Tonsatzes niemals den Hang der Musiker zu einer agogisch flexiblen und klanglich ausbalancierten Lesart überwuchert.

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