Dr Matthias Lange
Klassik.com, Germany
April 2011
PERFORMANCE
RECORDING

Johann Sebastian Bachs Sonaten und Partiten für Solovioline sind ebenso häufig eingespielt wie beschrieben und bedacht worden—und dennoch sind bei jedem Hören einer niveauvollen Einspielung, sind mit jeder neuen Interpretation bemerkenswerte Aspekte zu entdecken. Nicht anders ist es bei der aktuell vorliegenden Version des britischen Barockgeigers Pavlo Beznosiuk, die beim rührigen Label Linn produziert wurde. Beznosiuk ist neben seiner Tätigkeit als Violinist auch ein versierter und erfolgreicher Ensembleleiter, der mit seinem Avison Ensemble eine Reihe bemerkenswerter Aufnahmen mit Werken von Charles Avison und zuletzt eine frische Einspielung mit Händels Concerti grossi op. 6 realisiert hat.

Zunächst wird deutlich, dass Beznosiuk einen klaren, unverstellten Zugriff favorisiert. Er will Strukturen und Kontexte offenlegen und ist weniger an tänzerischem Temperament oder der Zurschaustellung virtuoser Aspekte interessiert. Dazu wählt der erfahrene Stilist sehr gemäßigte Tempi, die auf ein klares Ausmusizieren hin disponiert sind. Zwar sind einige der schnellen Tempovorgaben damit unterdurchschnittlich umgesetzt, in der Summe gestaltet Beznosiuk aber doch ein stimmiges Gefüge mit überzeugenden Relationen. Nur sehr gelegentlich gerät dieses gedankenvertiefte Konzept nicht überzeugend, etwa in der etwas zu schweren Siciliana der ersten Sonate. Ansonsten entwickelt Beznosiuk aus diesem eher introvertierten geigerischen Ansatz teils sehr frische Impulse, beispielhaft in der Giga der zweiten Partita nachzuhören. Manche der langsamen Sätze geraten—bei diesem Ansatz fast naturgemäß—zu besonders intensiven Höhepunkten.

Souverän & ausgeglichen
Auch in diesen verhaltenen Tempi beherrscht Beznosiuk die ausladenden Architekturen souverän. Auftrumpfende Gesten sind diesem gedankenvollen Künstler fremd, auch wenn sein technisches Vermögen in der großen Partita am Ende der zweiten Partita natürlich manifest wird. Der Brite spielt die Folge der Sätze mit einem schlanken, gut fokussierten Ton auf einer 1676 beim Antwerpener Geigenbauer Matthuys Hofmans entstandenen Violine, über die man im in dieser Hinsicht mangelhaften Booklet nichts Näheres erfährt. Das Instrument ermöglicht einen relativ schmalen, konzentrierten, auch ausgeglichenen und milden Klang, der ohne jede Schärfe auskommt. Selbstverständlich artikuliert Beznosiuk präzis und deutlich, doch gewinnt er seine Deutungskonsequenz eher aus der Kombination von schlackefreiem Ton und zurückgenommenen Tempi.

Das Klangbild ist klar, dabei trotz erheblicher Plastizität nicht skelettierend, mit einem sehr schönen, durchaus erheblichen Raumanteil versehen. Die Bilanz fällt mit Blick auf das Booklet etwas gemischter aus: Im Gegensatz zur schon angesprochenen Informationsknappheit in Bezug auf das Instrument überzeugen die fotografische Gestaltung und die kurzen einführenden Texte von Beznosiuk und John Butt, der—selten, aber sinnvoll—diese vermeintlich bestens bekannten Repertoirestücke mit einer soliden analytischen Einführung versehen hat. All das ist aber nur in englischer Sprache zu haben.

Es ist dies eine feinsinnige, konzentrierte Deutung, die an Strukturen und Beziehungen mehr interessiert ist als an brillantem Feuerwerk, ein introspektiver Ansatz gewissermaßen. Beznosiuk zeigt kein Hochglanzgeigen, überzeugt dafür umso mehr als kundiger Stilist und geduldiger Interpret.

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